Wallfahrtskirche Maria Kirchental: Geschichte der Wallfahrt
Im Jahr 1670 errichtet ein Landwirt aus St. Martin eine kleine hölzerne Kapelle. Als 1688 diese durch eine gemauerte ersetzt wird, erbittet man aus der Pfarrkirche in St. Martin zwei gotische Figuren für diese Andachtsstätte.
Eine davon ist die Muttergottes mit Kind. Besucher wollen Tränen dieser Gottesmutter wahrgenommen haben, und die vielen Gebetserhörungen sprechen sich alsbald herum. So beschließt Fürsterzbischof Johann Ernst Graf Thun 1694 den Bau des „Pinzgauer Doms“ an einer „auserwählten“ Stelle: dort, wo mitten aus der schneebedeckten Wiese drei Kornähren ragen.
In herrlicher Gebirgslandschaft steht in 880 Metern Seehöhe, circa 240 Meter über dem Talbecken die barocke Wallfahrtskirche Maria Kirchental. Wie kommt so eine prachtvolle Kirche, dieser „Pinzgauer Dom“ in das abgelegene und lawinengefährdete Hochtal der Loferer Steinberge? Die Antwort auf diese oft gestellte Frage ist nicht zu trennen vom Ursprung der bedeutenden, inzwischen über 300 Jahre alten Wallfahrt. Blicken wir zurück, so vermischt sich hier historisch Nachweisbares mit Legendärem, wobei die geschichtlichen Quellen, aber auch die zahlreich erhaltenen Votivbilder einen Einblick in die Lebensverhältnisse und das Glaubensleben des 17. und 18. Jahrhunderts ermöglichen. Unter allem was an „Wunderbarem“ in Maria Kirchental im Laufe von 300 Jahren erbetet und aufgezeichnet wurde, ist der Entschluss, gerade hier den „Bergkristall unter den Wallfahrtsorten“ (Erzbischof Dr. Georg Eder) im Land Salzburg zu errichten, mit an erster Stelle zu nennen – umso mehr angesichts der kurzen Bauzeit, in der dieses so schwierige Vorhaben gelingen sollte.
Es begann mit einer einfachen Flurkapelle, wie sie im alpenländischen Raum als Andachtsstätte in vom Dorf weiter entfernten Ortsteilen üblich war. Um das Jahr 1670 errichtete ein Bauer aus St. Martin mit Namen Ruepp Schmuck eine hölzerne Kapelle im „Kirchertal“. In diesem Hochtal am Fuß der Loferer Steinberge hatten die Bauern, deren Höfe rund um die Pfarrkirche gelegen waren, eben die „Kircherbauern“, Wald- und Weidegründe und waren daher einen Großteil des Jahres dort beschäftigt. Diese erste Holzknechtkapelle wurde um 1688 durch eine gemauerte ersetzt. Um diese Zeit erhielt die Pfarrkirche St. Martin anstelle der gotischen eine neue barocke Einrichtung, und so erbat einer der Kircherbauern mit Erfolg vom Pfarrer zwei gotische Figuren. Eine davon, eine Muttergottes mit Kind, stellte er 1689 in der besagten Waldkapelle im Kirchental auf.
Bald sprach es sich herum, dass dort Gebetserhörungen geschahen. Besucher wollten immer wieder ein ausgesprochen trauriges Aussehen, ja Tränen der Gottesmutter wahrgenommen haben. Der Ansturm von Neugierigen und Pilgern wurde immer größer und die Kunde davon drang auch bis zum damaligen Salzburger Fürsterzbischof Johann Ernst Graf Thun. Er entschloss sich zu einem Besuch der Kirchentaler Waldkapelle, mühte sich samt Gefolge den steilen Wald- und Viehsteg hinauf und hielt am 13. Oktober 1691 einen festlichen Gottesdienst unter großer Beteiligung der Pinzgauer Bevölkerung. Wie ein Chronist berichtet, setzte er dabei der Gottesmutter und dem Kindlein eigenhändig goldene Kronen auf. Beeindruckt vom Ort und der Frömmigkeit der anwesenden Bevölkerung besuchte der Erzbischof noch mehrmals das Kirchental und beschloss schließlich den Bau einer Kirche anstelle der bisherigen Kapelle. Diese war damals schon ein Wallfahrtsziel der umliegenden Pfarren geworden – so datieren die frühesten erhaltenen Votivtafeln von 1691 und 1692.
1694 fiel die endgültige Entscheidung für den Kirchenbau, doch wählte man als Bauplatz nicht, wie zunächst vorgesehen, den Standort der Kapelle (heute Baumgruppe mit Holzkruzifix), sondern jene etwas weiter gegen den Talschluss gelegene Stelle, die ein weiteres Mirakel vorgab: Mitten aus einer schneebedeckten Wiese wuchsen drei Kornähren, was als Hinweis auf den „erwählten“ Bauplatz gedeutet wurde. Eine von diesen Ähren wird bis heute in einer kleinen Monstranz aufbewahrt. Noch im Herbst des gleichen Jahres erfolgte die Grundsteinlegung. Die Arbeiten schritten trotz der schwierigen Verhältnisse rasch voran. Um die großartige Leistung zu würdigen, muss man sich vergegenwärtigen, dass damals kein richtiger Fahrweg oder gar eine Straße zum Bauplatz führte.
Alles, was an Baumaterial nicht an Ort und Stelle gewonnen wer¬den konnte – der Wald lieferte das nötige Holz und die Berge genügend Steine und Kalk für das Mauerwerk – mussten Ochsengespanne mühselig den steilen Berg herauf „schloap¬fen“. Außerdem durfte kein Pilger, wenn er gesund und jung war, ohne Baumaterial im Lastkorb oder in der „Kraxe“ auf dem Rücken zum Kirchental aufsteigen. Die Last der hohen Baukosten trug zu großen Teilen der Erzbischof, doch sein Beitrag hätte bei weitem nicht gereicht, wenn nicht die Wallfahrer – schon damals wie heute – hochherzig gespendet hätten. Darüber hinaus waren auch Pinzgauer Gemeinden bereit, für ihren „Pinzgauer Dom“ Kredite zu geben. Seit 1939 ist der Orden der Herz-Jesu-Missionare mit der Wallfahrtsseelsorge in Maria Kirchental betraut.
Das Gnadenbild
Was die Wallfahrer aus dem Pinzgau, aus dem ganzen Salzburger Land, aber auch aus dem angrenzenden Tirol und Bayern so zahlreich in das Loferer Hochtal geführt hat, ist vor allem das Gnadenbild von Maria Kirchental. Diese spätgotische Muttergottes stammt wahrscheinlich aus dem frühen 15. Jahrhundert und stand bis 1689 auf einem Seitenaltar in der Pfarrkirche St. Martin. Eine Besonderheit stellt der Vogel dar, den das Kind auf den Armen der Mutter in seiner linken Hand hält. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger der rechten Hand zeigt es auf das Vögelchen, das nach seiner Größe und Gestalt – die Farbgebung hat im Lauf der Jahrhunderte gewechselt – ein Stieglitz oder Distelfink sein dürfte. Diese Art der Darstellung findet sich vereinzelt bei Marienbildern oder -figuren der Gotik und Renaissance (z. B. „Stieglitz¬madonna“ von Raffael, aber auch „Zeisigmadonna“ von Dürer).
Hinsichtlich der religiösen Auslegung existieren unterschiedliche Auffassungen. In einer Interpretation ist die Rede vom Hinweis auf das Leiden, das dieses Kind zu erwarten hat und dass es die Welt erlösen wird. Eine andere Version spricht von einem Symbol der Armen und Kleinen, da der Distelfink, wie es sein Name ausdrückt, sich unter anderem vom Samen der Distel ernährt. Jesus steht – folgt man dieser Interpretation – auf der Seite der Armen und Kleinen. Er sagt den Trostsuchenden und spricht auch heute zu uns, wenn wir von der Last der Alltagssorgen niedergedrückt werden: „Betrachtet die Vögel des Himmels: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln nicht in Scheunen. Und doch ernährt sie euer himmlischer Vater. Wie viel mehr seid ihr wert als alle Vögel zusammen?“ (Lk 12,24 ff.) Etwa 300 Jahre hindurch gingen von der Betrachtung und Verehrung dieses Bildes in St. Martin Gefühle des Vertrauens aus, die sich wiederholt haben und „wunderbar“ belohnt wurden, als das Bild und seine Verehrung ins Kirchental übersiedelten. Die zahlreichen Votivtafeln sind dafür ein beredtes Zeugnis.
Rektor Mag. P. Karl Unger MSC