Die Kirchen von Rattenberg: Pfarrkirche St. Virgil - Baugeschichte
Dank der archäologischen Grabungen unter dem Fußboden der heutigen Stadtpfarrkirche, die 1981/82 unter Leitung von Wilhelm Sydow durchgeführt wurden, konnten die einzelnen Bauphasen dokumentiert werden.
Die ersten beiden Vorgängerbauten
Der früheste, den ergrabenen Fundamenten nach einschiffige Bau mit eingezogener, fünfseitiger Chorapsis war eine wesentlich kleinere frühgotische Kirche. Es dürfte sich dabei um die 1299 erstmals urkundlich genannten Virgilkirche handeln. Vielleicht wurde der Chor auch erst im frühen 14. Jahrhundert errichtet. Die zweite Virgilkirche entstand im Zuge der einsetzenden wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt um 1400. Das Langhaus wurde nach Westen hin verlängert, der Chor in gleicher Breite wie das Hauptschiff ausgebaut, während südlich eine etwas schmälere Kapelle mit Apsis zu Ehren der heiligen Ägidius und Barbara angebaut wurde. Nördlich setzte man an das Presbyterium den Turm an, der beim folgenden spätgotischen Bau übernommen wurde und bis heute erhalten ist.
Der spätgotische Kirchenbau
Zwar hat der Stadtbrand von 1443 die damalige Kirche in Mitleidenschaft gezogen, der Anlass für den 1473 begonnenen Neubau der Kirche war aber die wachsende wirtschaftliche Entwicklung und besonders die seit etwa 1450 einsetzende Ausweitung des Bergbaues im Rattenberger Revier. So kam es auch zur sozialen Komponente der nunmehrigen Zweiteilung der Kirche, wie sie heute noch am zweischiffigen Grundriss abzulesen ist. Sowohl die Bergarbeiterschaft, die 1468 als Bruderschaft eine Jahresmesse stiftete, als auch die hier ansässigen Gewerken (Bergbauunternehmer) und die Bürgerschaft sahen in der Virgilkirche gewissermaßen ihre „Pfarrkirche“, die damals freilich kirchenrechtlich noch eine Reither Filialkirche war. An den Baubeginn, zunächst der beiden Altarräume, erinnern heute noch zwei Steininschriften an der südlichen Apsis: die eingemeißelte Jahreszahl „1473“ sowie weiter östlich der Name des von der Stadt bestellten Bauleiters Michel Auer und dessen Wappen, ein auf den Kopf gestellter Zirkel.
Als Architekt dieser dritten Virgilkirche fungierte zunächst Meister CHRISTIAN NICKINGER, ein Mitglied der sog. Hagauer Bauhütte (nach dem Marmorbruch in der Hagau bei Kramsach), die im Unterinntal architektonische Leistungen von hohem Rang hinterließ, darunter die Kirchen St. Leonhard bei Kundl oder in Jenbach. Er verlängerte nach Errichtung der beiden neuen Chöre das bisherige Schiff um zwei Joche nach Westen, schloss aber nach Süden anstelle der bisherigen Kapelle das Südschiff an. So entstand die im Kern noch bestehende große Hallenkirche mit zwei Chören und Schiffen, die in der Mitte durch Pfeiler bzw. drei runde Marmorsäulen getrennt sind. Die Nordhälfte mit dem gotischen Virgilhochaltar gehörte der Bürgerschaft, die südliche mit dem schon damals der Knappenpatronin Anna geweihten Altar den Bergleuten.
Im Zuge der Kirchenvergrößerung musste das auf halber Höhe zwischen Burg und Stadt gelegene Areal nach Westen hin durch Felsabtragungen erweitert werden. Die Verkleidung der Schauseite der Kirche, also der Apsiden und der Südseite mit dem für die Hagauer Bauhütte charakteristischen rötlichen Kramsacher Marmor geht noch auf Meister Nickinger zurück. Sein Nachfolger und Vollender der Virgilkirche wurde Meister JÖRG STEYRER, der für die spätgotische Einwölbung und die schönen Portale zuständig war. 1506 konnte die neue spätgotische Kirche feierlich eingeweiht werden. Aus dem Jahr 1558 hat sich noch die große Glocke des berühmten Innsbrucker Gießers GREGOR LÖFFLER erhalten.
Die barocke Umgestaltung
Während das äußere Erscheinungsbild bis heute von dieser spätgotischen Bauphase geprägt wird, präsentiert sich der mit Stuck und Fresken verkleidete Innenraum und seine Einrichtung im Stil der barocken Umgestaltung im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. Zum Abschluss schuf der Rattenberger Tischler JOHANN PRUNNER 1738 das neue Gestühl mit den intarsierten Stuhlwangen. Noch aus der Zeit um 1680 haben sich die geschnitzten Akanthus-Stuhltoggen der älteren Stühle erhalten. Die letzte Außen- und Innenrenovierung der Stadtpfarrkirche wurde in den Jahren 1978-1983 durchgeführt.