Wallfahrtskirche Maria Straßengel bei Graz: Der Kirchenraum und seine Bauplastik
Der quadratische Querschnitt der Kirche zeigt einen Hallenraum, wobei das Mittelschiff gegenüber den Seitenschiffgewölben leicht überhöht ist.
Die Last des Gewölbes wird im Mittelschiff auf vier kantonierte Pfeilerpaare, in den Seitenschiffen auf Konsolen und in den Chören auf Runddienste geleitet. Die Kapitelle zeigen verschiedene Blattformen und die Schlusssteine beeindrucken mit Reliefdarstellungen.
Grundriss, Baualter- und Orientierungsplan der Wallfahrtskirche Straßengel
Grundriss und Aufriss
Der quadratische Querschnitt der Kirche zeigt einen Hallenraum, wobei das Mittelschiff gegenüber den Seitenschiffgewölben – wie in St. Stephan in Wien – leicht überhöht ist. Die Höhe des Mittelschiffs beträgt wie die des Dachstuhls 13,80 Meter, die Höhe der Pfeiler 9,12 Meter. Die Kirche weist im Mittelschiff eine Länge von 28 Metern und in den Seitenschiffen von 23,70 Metern auf; die Breite beträgt 12,60 Meter (Innenmaße). Den schmalen, aus vier hochrechteckigen Jochen gebildeten Seitenschiffen und dem breiteren, fünfjochigen Mittel-schiff sind Chöre im 5/8-Schluss vorgesetzt, wodurch eine gestaffelte Chorpartie entsteht. Diese Grundrisslösung mit drei polygonalen Apsiden, die Jochbildung und der gestaffelte Aufriss folgen dem Chor der Wiener Stephanskirche (1304/40). Die Last des Gewölbes mit den birnstabprofilierten Kreuzrippen wird im Mittelschiff auf vier kantonierte Pfeilerpaare, in den Seitenschiffen auf hochsitzende Konsolen und in den Chören auf Runddienste geleitet. Verstärkte Scheidbögen betonen die Trennung der Kirchenschiffe.
Die Bauplastik und ihre Motive
Die Kapitelle zeigen verschiedene Blattformen. Auch die Schlusssteine im Scheitel der Gewölberippen und die Wandkonsolen weisen analoge naturalistische Blattgestaltungen auf, wie Weinlaub, Efeublätter und Feigenlaub. Die Schlusssteine besitzen außerdem Reliefdarstellungen: Über dem Hauptaltar ist der sich verletzende Pelikan zu sehen, im folgenden Joch ist ein von Laubwerk umrahmter Kopf wiedergegeben, im Südchor ist die Krönung Mariens durch Jesus und im Nordchor eine Blattmaske dargestellt. Die beiden Konsolen im Hauptchor und auch einige Schlusssteine in den Seitenschiffen zeigen menschliche Antlitze, die von Laubwerk umwuchert werden. Das Kapitell des nordwestlichen Emporen-Wanddienstes ziert das von einem Schleier bedeckte Haupt Mariens; am selben Kapitell ist der Kopf eines älteren Mannes mit Glatze dargestellt, der vermutlich als Werk- oder Baumeister der Kirche zu identifizieren ist.
Die Konsolen der Seitenschiffe besitzen skulptierte Darstellungen der geflügelten Evangelistensymbole. An der Südwand Engel mit Spruchband (Matthäus), Adler (Johannes), dazwischen ein Blattkopf; an der Nordwand Stier (Lukas), Löwe (Mar-kus) sowie an der nordwestlichen Konsole die Wiedergabe eines aus der Quelle trinkenden und eines die Schlange töten-den Hirschen. Die im Gewölbe über der Orgel eingemauerte Inschrifttafel bezieht sich auf eine unter Abt Georg Freyseisen im Jahre 1599 durchgeführte Renovierung.
Symbolik der Bauplastik
Diese bauplastische Ausstattung ist nicht nur eine dekorative Bereicherung der Architektur, sondern ist vor allem auch Ausdruck religiösen Denkens, der Träger eines theologischen, auf Maria und Christus bezogenen Programms. Dabei stehen die Pflanzendarstellungen in der Tradition der mittelalterlichen mystischen Naturbetrachtungen: Über dem Hochaltar, wo das Messopfer gefeiert wird, ist auf dem Gewölbeschlussstein der Pelikan als Symbol für den auferstandenen Christus und der Eucharistie wiedergegeben; auch der schlangentötende Hirsch ist ein Christussymbol, während der trinkende Hirsch als das „Verlangen nach dem Lebensborn der heiligen Eucharistie“ zu deuten ist. Die vier Evangelistensymbole sind Hinweise auf die Evangelien, die vom Wirken und von den Mysterien Christi künden. Mit der Krönung von Maria zur Königin des Himmels und der Erde und aller Heiligen im Südchorwird auf das Marienpatrozinium der Kirche hingewiesen. Die symbolischen Aussagen der Pflanzendarstellungen unterstützen dieses Programm: Die Weinrebe ist Symbol für das Blut Christi, Sinnbild für die Eucharistie und der himmlischen Erquickung; der Efeu – der auch in den Glasgemälden als Hintergrundmuster auftritt – ist Symbol der Hoffnung und Ausdruck des Glaubens an ein ewiges Leben; die Feige ist Symbol des Heiligen Geistes und des Friedens des Messianischen Reiches. Die Laubwerkköpfe und Blattmasken haben apotropäische Bedeutung, da sie das Böse vom Haus Gottes fernhalten sollen.
Eucharistischer Pelikan
Über dem Hochaltar als dem früheren Ort der Feier des Messopfers zeigt der gotische Schlussstein einen Pelikan, der sich die Brust aufreißt, um mit dem lebenspendenen Blut seine Jungen zu laben. Diese dem Physiologus, einer frühchristlichen Naturlehre mit allegorischen Bezügen zum Heilsgeschehen entnommene Darstellung ist ein Symbol für die Liebe und Auferstehung Christi und sein Erlösungswerk.
Fenster, Arkaden, Empore
Chor und Langhaus werden an der Ost- und Südseite durch Spitzbogenfenster belichtet; an der Nordwand wurden anlässlich der letzten Restaurierung die Fensterlaibungen des 3. und 4. Joches – das westliche mit originalem Maßwerk und ergänzten Pfosten – freigelegt, wodurch der ursprüngliche Charakter des Innenraumes spürbarer wird. Zu den hochgotischen Architekturformen kontrastieren die rundbogigen Arkadenreihen an den beiden Langhauswänden. Sie dienten als Akzentuierung ehemaliger Sitznischen für die Zisterziensermönche von Stift Rein.
Die Empore geht in der vorliegenden Gestaltung auf das 15. Jahrhundert zurück. Vermutlich errichtete sich hier Kaiser Friedrich III. im Jahr 1455 gleichzeitig mit dem Kapellenanbau eine Art Herrschaftsempore; dabei wurden die hochgotische Empore mit einem Gratgewölbe unterfangen und die beiden die Empore berührenden Bündelpfeiler mit Arkadenbögen mas-siv verstärkt. Gleichzeitig vergrößerte man das Hauptportal und errichtete das profilierte Flachbogentor zur Empore.