Stadtpfarrkirche zum hl. Ulrich in Wieselburg: Rundgang
Vom ottonischen Zentralbau sind noch fünf Achtel des ursprünglichen Bestandes erhalten. Den Übergang vom Erdgeschoß zum Oktogon der Kuppel vermitteln sog. Trompen, also trichterförmige Gewölbezwickel.
Orientierungsplan zur Einrichtung
Das ottonische Oktogon und seine Fresken
Die Kuppel wird von einer von acht Rundfenstern belichteten Tambourzone getragen. Die Scheitelhöhe der Kuppel beträgt 13 Meter. Der überkuppelte Zentralbau mit seinen gleichmäßigen Seitenarmen beruhte auf dem Grundriss eines griechischen Kreuzes. Gelbe Streifen sowie andersfarbige Fliesen auf dem Fußboden, die teilweise durch die Kirchenstühle verdeckt werden, markieren die Lage der Fundamente jener Oktogonteile, die bei der gotischen Erweiterung abgetragen wurden, ferner die Lage der 1952 entdeckten Fürnberggruft sowie mittelalterlicher Bauten. Der östliche Seitenarm wurde 1783 im Zuge der Aufstellung des barocken Hochaltares umgestaltet und erhöht; Nord- und Südarm entsprechen nicht dem Originalbestand, dessen Fundamente aber ergraben wurden.
Die 1952/57 freigelegte, aufwändige Freskierung („al fresco secco“)ist leider nur noch sehr fragmentarisch erhalten (bei der Restaurierung 1923 teilweise zerstört), sie zählt aber zu den ältesten Monumentalmalereien des Mittelalters in Österreich in vorromanischer Zeit und ist durch ihre byzantinischen Programmformen („Allerheiligenkirche“) von hohem kunstgeschichtlichen Wert. Man vermutet aufgrund stilistischer und schriftkundlicher Erwägungen eine Entstehungszeit in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Die Fresken sind also älter als jene in Lambach. In Anlehnung an byzantinische Vorbilder bei den Bildthemen, Ornamentbändern und Inschriften zeigte das Kuppelbild ganz oben den auferstandenen Christus als Pantokrator, als triumphierenden Weltenherrscher, mit Heiligenschein und Oberkörper (mit Buch?), darunter in fünf vollständigen und zwei angeschnittenen Medaillons geflügelte Halbfiguren mit Heiligenscheinen. Es dürften ursprünglich neun gewesen sein als Symbole für die neun Chöre der Engel. In den beiden Trompen seitlich des Altares finden sich je zwei ebenfalls von Medaillons eingefasste Symbole der Evangelisten. Als Pendant dazu waren in den beiden zerstörten westlichen Trompen vielleicht die vier Kirchenväter dargestellt. Die vorherrschenden Farbakkorde beschränken sich auf Ocker und Braunrot auf hellem Putz. Es finden sich auch Spuren von Hellgrün.
In einer klaren hierarchischen Bildfolge sind der kosmisch-universalen Herrschaft Christi die Engelschöre sowie die Schreiber und Verkünder des Evangeliums untergeordnet. Noch relativ gut erkennbar sind die lateinischen Inschriften der Evangelistensymbole: TAVRUS (Stier, für Lukas) und AQVILA (Adler, für Johannes) bzw. südlich gegenüber HOMO (Mensch, für Matthäus) und AC.. .EO (Acer leo = scharfer Löwe, für Markus).
Kaum erkennbar sind die Motive zwischen den romanischen Rundbogenfenstern über den Trompen, deren Programm aber aus der Umschrift darüber als die acht Seligpreisungen aus den Anfängen der Bergpredigt erschlossen werden kann. Die beiden unteren Rundfenster zeigen in den Laibungen ein dekoratives Schachbrettmuster. Reste weiterer Medaillons im Erdgeschoß lassen sich vielleicht als Apostel und Propheten deuten. Der stark byzantinische Charakter der Freskenkomposition und -programme (westliche Variante) lässt sich wohl auf den Einfluss der byzantinischen Prinzessin Theophanu, der Frau Ottos II., zurückführen. Zum Wieselburger Oktogon gibt es keine Parallele im alpen- und donauländischen Bereich!
Den Versuch einer Rekonstruktion des ursprünglichen ikonographischen Programms zeigt ein Modell im Turmerdgeschoß. Durch die Aufteilung in fünf horizontale Zonen wird auch der Höhenzug der Kuppel mit ihrer Scheitelhöhe von 13 Metern optisch gemildert.
Barocker Hochaltar im Oktogon
Der um die Mitte des 18. Jahrhunderts entstandene Hochaltar, gefertigt aus rotgrauem Gaming-Peutenburger Marmor, stand ursprünglich in der Kirche der 1782 aufgehobenen Kartause Gaming. Vier Säulen tragen das geschwungene Gebälk und flankieren das Altarbild „Triumph des hl. Ulrich“. Es wurde erst anlässlich der Übertragung nach Wieselburg geschaffen und später in den Altar eingearbeitet. Seitlich davon sind Statuen der beiden Apostelfürsten Petrus (mit Himmelsschlüssel) und Paulus (mit Schwert als Hinweis auf sein Martyrium) angeordnet. Oben im Altarauszug rahmen Voluten die plastische Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit.
Der hl. Ulrich(um 890–973)
Der hl. Ulrich wird als Wieselburger Kirchenpatron zwar erst 1235/1237 genannt, ihm wird die Kirche aber von Anfang an geweiht gewesen sein. Als Bischof von Augsburg (923–973) hatte er maßgeblichen Anteil am Sieg in der Schlacht auf dem Lechfeld gegen die Ungarn 955, die zur Befreiung des heutigen westlichen Niederösterreichs führte. Bischof Ulrich war der väterliche Freund des hl. Wolfgang, den er 968 zum Priester geweiht hatte. Ulrich wurde 993, erstmals in der Kirchengeschichte offiziell vom Papst, heilig gesprochen. Damals ließ Wolfgang auch die Wieselburger Kirche vollenden. Dargestellt wird Ulrich meist in bischöflichen Gewändern mit Buch und Fisch. Der Fisch als Attribut bezieht sich auf die Legende, wonach Ulrich wegen der Nichteinhaltung des Fastengebotes am Freitag verleumdet werden sollte. Doch das als angeblicher Beweis präsentierte Bratenstück verwandelte sich in einen Fisch. Der als Bischof mutige und barmherzige Heilige wurde Fürsprecher gegen Überschwemmungen und Hochwasser und um Heilung bei Augenleiden angefleht. Sein Gedenktag ist der 4. Juli.
Nach einem Konzept des Wieselburger Stadtpfarres Franz Dammerer ruht der Volksaltar im Oktogon auf sieben Säulen aus hellem und dunklem Holz, als Symbol für die sieben Sakramente. Rechts davon steht ein spätgotisches Taufbecken aus rotbraunem Marmor (Anfang 16. Jh.; Deckel modern); es trägt am Sockel ein zierliches Taufsymbol in Wappenform, ein Relief des Propheten Jona mit dem Walfisch.
Kronleuchter
Der mächtige Radleuchter aus Stahl und Eisenblech ist ein Werk des niederösterreichischen Künstlers FRANZ KATZGRABER aus dem Jahr 1968. Er erinnert bewusst an früher in romanischen Kirchen übliche Radleuchter oder Lichtkronen und symbolisiert mit seinen turmartigen Zinnen und Toren das „Himmlische Jerusalem“ aus der Offenbarung des Johannes.
Das spätgotische Langhaus
Das zweischiffige, vierjochige Langhaus der spätgotischen Kirche (20,50 m lang und 10,50 m breit)wirkt heute beim Eintritt von Norden her wie eine geräumige Vorhalle; drei schlanke, hoch aufragende Mittelsäulen stützen das Kreuzrippengewölbe, das im östlichen Joch etwas reicher ausgebildet ist und zwei reliefierte Schlusssteine aufweist: der rechte trägt ein Wappen, der linke ein Marienantlitz, offenbar das Brustbild einer Ährenkleidmadonna, ein besonders in der Spätgotik verehrtes Gnadenbild-Motiv. Es wurzelt in der theologischen Auffassung, dass Maria die Gnadenähre ist, die den Weizen Christus als das wahre Himmelsbrot hervorbringt.
Dieses spätgotische Bauwerk ist von bemerkenswert guter Qualität. Dazu kommt noch, dass die Zweischiffigkeit von gotischen Kirchen eher selten ist. Besonders zu empfehlen ist der Blick vom Hochaltar der neuen Kirche aus in das gotische Kirchenschiff.
Marmorgrabstein
An der Rückwand ist im Kirchenwinkel der rotmarmorne Wappengrabstein für Ulrich Schrot zu Streitwiesen und dessen Frau Susanne († 1523) in die Mauer eingelassen. Unter dem Relief des Gekreuzigten mit Maria und Johannes sind zu deren Füßen der Stifter mit seinen beiden Frauen, jeweils mit Wappenschild, zu erkennen. Stilistisch weist die Darstellung schon in die frühe Renaissance.
Modelle im Turmerdgeschoß
Links daneben öffnet sich das spätgotisch eingewölbte Erdgeschoß des Kirchturmes (ehem. Taufkapelle). Hier sind interessante Modelle zur Geschichte des Kirchenberges und der Stadtpfarrkirche zu sehen: links das Oktogon mit seiner rekonstruierten Wandmalerei (weist einige Ungenauigkeiten auf), in der Mitte der Kirchenberg mit der ersten Kirche samt umliegender Wehranlage, ganz rechts der in dieser Form nicht gänzlich verwirklichte Entwurf für den Erweiterungsbau von 1953/1958.
Heiligenfiguren
An der Mittelsäule bzw. dem anschließenden Durchbruchpfeiler zum modernen Hauptschiff sind auf Konsolen aus dem letzten Jahrhundert stammende, ungefasste Schnitzfiguren aufgestellt. Die erste zeigt den hl. Antonius von Padua, den gelehrten Prediger des Franziskanerordens, bis heute einer der beliebtesten Volksheiligen. Die Statue schuf 1989 der Wieselburger Künstler ERNST VACLAVEK im Auftrag der Pfarre. Die von einem Grödner Bildhauer geschnitzte Figur des hl. Judas Thaddäus wurde von einem Pfarrmitglied gespendet und 1991 aufgestellt. Der meist mit einer Keule, manchmal auch mit dem Abbild Christi dargestellte Apostel gilt als Helfer in verzweifelten Fällen. Schon im Bereich des Neubaus steht die Figur des hl. Ulrich, des Wieselburger Kirchenpatrones; sie war ein Geschenk der Stadtgemeinde Wieselburg an den früheren Ortsseelsorger Leopold Teufel.
Apsis-Mosaik Christus Pantokrator
Die künstlerische Ausgestaltung des neuen Kirchenschiffes prägen die Glasmalerei der Fenster sowie die ebenfalls farbkräftigen drei Mosaike über den Altären, die mit Farbkeramiksteinen und Gold- und Silberplättchen gestaltet wurden. Es sind Frühwerke des St. Pöltener Künstlers ROBERT HERFERT aus den Jahren 1960–1962. Das zentrale Motiv der Apsis hinter dem Hauptaltar ist, in Wiederaufnahme des Kuppelbildes im Oktogon, die monumentale Darstellung von Christus als Weltenherrscher, eingebunden in die Dreifaltigkeitsthematik. So ist links oben die auf das Haupt Christi weisende Hand Gottvaters zu erkennen und rechts am Nimbus der Heilige Geist in Taubengestalt. Aus den Handwunden Christi fließt der Gnadenstrom auf das Volk Gottes, symbolisiert durch zwei für die Region wichtige Heilige in Begleitung von Männern und Frauen: links vom Betrachter aus gesehen der hl. Leopold, der Babenberger Markgraf Leopold III. (um 1073–1136), Patron von Österreich und des Landes Niederösterreich, rechts gegenüber die Jugend, angeführt vom hl. Bischof Wolfgang, dem Gründer der ersten Kirche von Wieselburg. Die beiden barocken Engel wurden anlässlich der 50-Jahr-Feier der dritten Kirche im Jahr 2008 hier angebracht.
Der hl. Wolfgang (um 924–994)
Ausgebildet in der Klosterschule Reichenau und in der Domschule Würzburg, war er zunächst Lehrer in der Domschule von Trier. 965 trat er ins Benediktinerkloster Einsiedeln ein und ließ sich drei Jahre später durch Bischof Ulrich von Augsburg zum Priester weihen. Nach kurzer Missionstätigkeit in Ungarn erhob ihn Kaiser Otto I. 972 zum Bischof von Regensburg. Eingebunden in die politischen Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und bayerischem Herzog, zog er sich einige Jahre in die Besitzungen seines Bistums in Mondsee und im heutigen Niederösterreich zurück, wo er auch die Kirche von Wieselburg erbauen ließ.Als Bischof waren seine Bemühungen um die Klosterreform und um die Bildung des Klerus bedeutsam. Sein von Demut und Menschenliebe geprägtes Wirken begründete seine Verehrung schon zu Lebzeiten. Der oft mit einem Kirchenmodell als Hinweis auf seine Tätigkeit als Kirchengründer und Reformer dargestellte Bischof Wolfgang gilt als Patron der Holzhauer, Zimmerleute, Hirten und Schiffer.
Im Zuge der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) wurde im Jahr 1970 der ursprünglich in der Tradition des alten Hochaltares direkt an das Mosaik herangestellte Altartisch aus Marmor als Volksaltar in den Altarraum hineingerückt. Bei der Innenrenovierung 1994 wurde das alte Speisgitter abgetragen und daraus der Ambo gebaut, ferner die Säule für den nun rechts vom Hauptaltar aufgestellten Tabernakel; der Altar selbst wurde tiefer gesetzt und nach vorne gezogen.
Linker Seitenaltar
Thema des Mosaiks ist der „Hl. Joseph als Patron der Sterbenden“. Der Nährvater Jesu ist hier als Fürsprecher der Arbeiter und für einen guten Tod dargestellt. Die Statue des hl. Wolfgang, eine Spende des örtlichen Lions-Club, schnitzte der Scheibbser Bildhauer JOSEF LECHNER (1995).
Kanzel
Die 1956 angebrachte Kanzel mit einer Verkleidung aus grünen Serpentinplatten stammt von SEPP ZÖCHLING, der auch die 1994 abgebaute Kommunionbank anfertigte. Der Kanzelkorb als Ort der Verkündigung des Evangeliums ist geschmückt mit Darstellungen Christi und der vier Evangelisten mit ihren Attributen: Matthäus (Engel), Markus (Löwe), Lukas (Stier) und Johannes (Adler) – angelehnt an die Medaillons im Oktogon, aber in moderner Formensprache.
Rechter Seitenaltar mit spätgotischer Madonna
Das Mosaik zeigt die Verkündigung an Maria durch den Erzengel Gabriel. Auf dem Altartisch steht eine wertvolle spätgotische Statue, die Madonna mit Kind aus der Zeit um 1510; die Pfarre Wieselburg hatte diese Statue 1961 der Kapelle des Bildungshauses St. Pölten als Leihgabe überlassen, 1996 kam sie auf Initiative von Stadtpfarrer Franz Dammerer wieder zurück in die Pfarrkirche.
Farbglasfenster
Die 1960 von ROBERT HERFERT in Absprache mit dem damaligen Pfarrer Leopold Teufel entworfenen fünf großen Farbglasfenster der Westseite zeigen Symbole aus der Passion Christi: Ölzweig, Dornenkrone, Krone, Kelch mit Blutstropfen Christi und Hostien.
Kreuzwegstationen
Unter dem Fenster beim Marienaltar beginnt die Reihe der Kreuzwegbilder. Die alten Kreuzwegstationen (wahrscheinlich um 1820), die nach dem Kirchenbrand 1952 ausgelagert und in der neuen Kirche durch moderne Terrakotta-Reliefs ersetzt worden waren, ließ man 1994 durch Franz Aschauer aus Wieselburg restaurieren und brachte sie wieder hier im Kirchenraum an. Die Kreuzwegbilder wurden so angebracht, dass sie die „drei Kirchen“ miteinander verbinden. Gleichzeitig wurde neben dem Sakristeiportal eine barocke Tragfigur des auferstandenen Christus (um 1750) aufgestellt.
Orgel
Auf der Seitenempore des Hauptschiffes steht die am 12. Juni 1960 eingeweihte, ab 1959 in der Orgelbauwerkstatt GREGOR HRADETZKY in Krems erbaute Schleifladenorgel. Sie besitzt zwei Manuale mit 16 Registern und war die erste mechanische Orgel aus der Werkstatt Gregor Hradetzkys des Jüngeren. Die Reliefs der beiden Haupttore beim Nordportal entstanden 1964 nach Entwürfen von ROBERT HERFERT. Die dargestellten Motive sind Taube und Flamme als Opfer des Alten Bundes sowie Brot, Kelch und Weintrauben als Opfer des Neuen Bundes.