Orte und Pfarre

In die Zeit der um 1720 im kleinen Dorf Groß-Siegharts gegründeten Textilindustrie fällt auch die Errichtung der barocken Pfarrkirche hl. Johannes der Täufer.

Schloss Groß-Siegharts, bildet mit der Kirche das Zentrum des inneren Marktes, 1902Die erste Besiedlung von „Sigharz“ im heutigen Ortsbereich ist für die Zeit um 1100 überliefert; seelsorglich gehörte der Ort zur alten, 1080 vom Passauer Bischof Altmann gegründeten Pfarre Raabs an der Thaya. Um 1230 werden bereits die Zehenten (ca. zehnprozentige Abgaben in Form von Naturalien oder Geld an eine geistliche oder weltliche Institution) von zwölf Bauernhäusern und zehn Kleinhäuslern aus Siegharts an St. Georgen, das heutige Herzogenburg, urkundlich erwähnt. Bis 1700 war das Dorf auf etwa 50 Häuser angewachsen. In den Jahren von 1710 bis 1727 wurde das hiesige Textilindustriezentrum gegründet, durch die Heranholung von Textilfacharbeitern samt ihrer Familien aus Deutschland, besonders aus Schwaben. So entstanden damals auch rund 160 neue Arbeiterhäuschen. Im Zuge dieser Entwicklung ließ der damalige Herrschaftsbesitzer Graf Ferdinand von Mallenthein auch die barocke Kirche neu errichten. 1727 wurde der Ort zum Markt erhoben und erhielt ein Gemeindewappen verliehen.

Ein entscheidender Umschwung erfolgte nach 1727 mit der Verarmung Graf Mallentheins durch Überschuldung und plötzliche Absatzschwierigkeiten für die hier erzeugten

Textilwaren. Ursache hierfür war die damals erfolgte Auflösung der 1719 gegründeten Orientalischen Handelskompanie durch Kaiser Karl VI. aus politischen Gründen, um die Anerkennung der Regierungsnachfolge seiner Tochter Maria Theresia von den damaligen Weltmächten zu erlangen („Pragmatische Sanktion“). Die Orientalische Handelskompanie war der Hauptabnehmer der hiesigen Industrieprodukte, deren Detailverkauf durch Wanderhändler noch nicht gestattet war. Dadurch kam es schon bald zur Verarmung und teilweisen Abwanderung der zugereisten Familien. Der eigentlich von Mallenthein geplante Ausbau von Siegharts zu einer Industriestadt von tausend Häusern, die er „Milldom“ (Tausendhausen) nennen wollte, war jäh unterbrochen. So konnte auch die Barockkirche nicht mehr in der von Mallen-thein geplanten prunkvollen Weise eingerichtet werden.

Die Tradition der örtlichen Textilproduktion bleib aber bis in die jüngere Vergangenheit bestehen. Von etwa 1780 bis 1850 war die Zeit der Bandlkramer und Bandträger, die vom hiesigen „Bandlkramerland“ besonders Textilbänder und Zwirn weit hinaustrugen in alle Lande und einen bescheidenen Wohlstand ermöglichten, der allerdings durch die Napoleonischen Kriege und deren Nachwirkungen um 1800 bis 1820 durch Verarmung und Not unterbrochen wurde. Um 1850 entstanden mehrere neue Fabriken, die Bandlkramer blieben nun als Fabrikarbeiter im Ort, erlebten im Zuge des Wirtschaftsliberalismus bei oft ungesunden Arbeitsbedingungen und geringer Entlohnung aber häufig soziale Not und besonders nach dem Ersten Weltkrieg auch die bedrückende Arbeitslosigkeit. Im Jahr 1928 erfolgte die Stadterhebung von Groß-Siegharts. Nach 1950 kam es zu wachsendem Wohlstand und einer regen Bautätigkeit im Ort (u. a. Gründung der Textilfachschule durch Abt Isfried vom Stift Geras im Jahr 1952), wobei auch die Kirche unter Pfarrer Rudolf Schierer umfassend erneuert und deren barocke Einrichtung ergänzt wurde. Groß-Siegharts ist, nachdem bereits 1709 die Erhebung zum Vikariat erfolgt war, seit 1783 eine selbstständige Pfarre.